Der Geilste
eine Kurzgeschichte
Der Geilste
“Weißt du wer der geilste ist? Der geilste ist der Typ, der einfach so chillig ist, das man Bock hat mit dem was zu machen. Ist einfach nice. Was auch special ist, ist der Style. Das creepy wie special der ist. Das geilste ist, dass der nicht merkt, wie lost er ist. Das ist richtig richtig spooky as fock. Versteh ich halt nicht wie man so sein kann. Gibt absolut Garnichts daran was irgendwie cool ist oder so. Check ich halt nicht. Ja eben. Tut halt niemandem was, immer voll auf korrekt und schlau und so ne aber weis auch nicht. Ja keine Ahnung. “
Sie richtet sich aus der Im-Tür-Rahmen-innen-Hochrutschen Pose unbeholfen auf. Barfüßig wird feige füßelnd Platz am Boden zwischen der 4er Sitzreihe Halt gesucht, welche aus zwei jeweils gegenüberliegenden Sitzen besteht . Mit potthässlichen, gemischt-blauen Stoffbezügen und gelben Streifen, die wie fusselige, saure Pommes in ätzenden Symmetrien maschinell eingewoben wurden. Die Gebräunte quetscht die Mauken ungeschickt und von lediglich ja, regelrecht geringer Anmut beschienen, in die Ballerinas.
Der große Sack Sonnenblumenkerne lag noch immer auf dem nackten Bauch, weil Top verrutscht. Es hat sich im Prinzip... Nun, eingerollt, eingesogen? Gebloppt wurde mir eins erheitert angetragen. Also es geht um die Bewegung, welche der Stoff auf der Haut durchmacht, wenn er von einer Bauchfalte oder rosenzartem Röllchen bei deren Sinuskurvenartiger Bewegung beim Stellungsw… beim Anpassen der Körperhaltung verursacht werden. Wie zum Beispiel beim uneleganten Aufstehen im Zug.
Mit Sonnenblumkernbauch, Kopfhörern und Tablet. Zwei verschiedene, geöffnete Dosen M-Energy Drink. Kennt man die Marke, saufen die alle. Verklagen aber jeden, der das Wort benutzt auf Millionen-Dollar. Ist so eine Firmenphilosphie, ihr kennt sowas. Manche mögen keine Verwechslungen, manche mögen keine Menschen mit Trinkwasser. Gibt solche und solche. Der Sonnenblumenkernbauch, mit einer extra Serviette um die Schalen nicht abpulen zu müssen, sondern beim betrachten ihres Bildschirms keinen unnötigen Handgriff leisten zu müssen, erhob sich.
So ziemlich genau 55Db Klänge Luigi Boccerini bewegen Trulla dazu, sich wie Jane am Tarzan krallend an den Rückenlehnen des kurzen Zugabschnitts entlangzugeiern und mit ihren etwas mitgenommenen und mehrverfach übertapezierten Nägeln hatte sie dabei den Charme einer Hagraven, mit der sie auch eine faire Ähnlichkeit im Auftritt verband.
Der junge Mann, den man für einen Studenten, Obdachlosen oder beides zeitgleich hält, schaut aus dem Fenster im Zweier.
“Kommt das von di-a?”
Keine Reaktion. Ungewöhnlich schneller, reaktiver Trotz lässt auf sich, als Folge von Überreizung und aufputschender Flüssigkeit eingetretenem Missmuts, nicht lange warten.
“Mach die Scheisse da mal aus.”
“Kann ich Ihnen helfen?”
“Mach die Scheisse da mal aus, weil, ich hab schon voll Koffschmerzen davon wegen dir.
“Aber nein! Ein wenig leiser biete Ich ihnen an.”
Räkelnd und mäkelnd in die Brücken-Grundhaltung zurückkehrend nuschelt es.
“Nein, ganz aus, die Scheisse, schon voll Koffschmerzn... mmmm”
“Vielleicht kommt das von TikTok und Energy und nicht von Vivaldi.” Laut und deutlich. Langsam.
“Was willst du von mir?”
Schweigen. Vivaldis Herbst. Im rechten Winkel der Hypotenuse zwischen Student und Hagraven sitzt BWL-Hippster-Remote-Job-Flachzangen-Schwachkopf und spricht Worte in den eingefrorenen Konflikt hinein. Er wählt seine Worte nicht, er wixt sie in eine zivilisierte Unterhaltung wie ein Feuerlöscher:
“Ich muss der Dame aber Recht geben, sie könnten auch einfach die Musik mal ausmachen, ich persönlich muss hier nämlich auch arbeiten. Und wirklich wichtige Sachen Schreiben. Das ist ein Zug, ne, und da reicht leiser machen halt nicht.
“Oh, ja natürlich, sie haben gewiss Wichtiges zu schreiben und erledigen und es tut mir furchtbar Leid, dass es ihnen nicht leicht von der Hand geht, mit dem Schreiben heute. Doch ich bezweifle stark, dass das an Vivaldi oder mir liegt.”
BWL-Mensch starrt in seine Laptopscheibe, Obdachloser blickt nicht länger hin, im wegdrehen sieht er das wacklige Kopfschütteln. Niemand außer den drei Menschen befindet sich im Zug.
Die Fahrt endet für einen der drei. Vivaldis Winter hat begonnen.
“Toll, wegen ihnen hab ich übrigens jetzt keinen bisschen arbeiten können, die ganze Fahrt lang jetzt. .. ..” er will noch etwas sagen, was mit ‘wissen sie was das in Euro ist’ beginnt sagen, doch eine betonte, laute Stimme ruft Ihm lächelnd entgegen.
“Das ist für die Welt ein großer Segen und hoffentlich bleibt es, wie es ist. Viel Glück!”
Eine zur Verabschiedung gereichte Hand nimmt BWL-Arsch nicht an. Er sagt es sei jetzt zu spät dafür.
“Das stimmt.”
Pause.
“Denn unsere gemeinsame Fahrt endet hier.”
Pause.
Mit gelassenem, aber zügigen Schritt erreicht er den Vierer der Gebräunten.
Fast bedrohlich langsam wird gesprochen.
“Würde sie es bitte zu unterlassen, während der Fahrt zu speisen? Es klingt bei ihnen, als würde man einen Esel füttern. Davon...”
Pause.
“Bekomme ich Kopfschmerzen.”
Ein entgegengestreckter Mittelfinger soll Gleichgültigkeit demonstrieren. Die stand vor Ihr.
“Weißt du wer der Geilste ist?”
Es sind Augenblicke wie dieser. Wo aus ihnen die Welt herausfällt.
“Vivaldi.”

So könnte manches Zuggespräch tatsächlich ablaufen.
O_o